Wie ich eine Wolfs-Attacke in der Mongolei überlebt habe. Quasi.
Mein Herz macht einen Satz, weit, ganz weit nach unten. Ich kenne das Geräusch. Ich weiß auch, was passieren wird. Es ist immer das Gleiche. Sobald man dieses Geräusch hört, passiert etwas Schlimmes. Doch ich sitze nicht im bequemen Kinosessel und futtere Popcorn, ich stehe in unserem Küchenzelt mitten im Nirgendwo in der Mongolei und hatte bis vor einer Sekunde noch vor, noch einen Abstecher zum Klozelt zu machen und es mir dann mit den Drei ??? im Ohr in meinem Einzelzelt gemütlich zu machen. Jetzt kann ich mich aber nicht einmal bewegen.
Das Heulen ist so unfassbar nah. Angst. Entgeistert schaue ich unsere Reiseleiterin an. Wölfe? Jetzt, mal ohne Scheiß! Wölfe??! Mir wird warm und kalt und ich weiß nicht ob ich lachen oder weinen soll.
Das war der Blick aus dem Küchenzelt FRÜHER am Abend BEVOR die Wölfe kamen
Ja, sagt sie. Wölfe. Mehrere. Ein Rudel. Schätzungsweise direkt hinter unserem Küchenzelt. Das Heulen hat aufgehört, aber in mir dreht sich alles. Was machen wir denn nur jetzt? Ich hatte ganz vergessen, wie sich Angst anfühlt, denke ich mir noch und schon lässt unsere Reiseleiterin einen gellenden Ruf auf mongolisch los. Verscheucht man damit Wölfe? Chon ist das mongolische Wort für Wolf, sagt sie. Drei Sekunden später stehen unsere drei Fahrer und unsere Köchin im Küchenzelt. Aber von Angst in ihren Gesichtern sehe ich nichts. Einer der Fahrer geht nochmal kurz raus um etwas zu holen. Ich hoffe es ist ein Gewehr. Irgendetwas um uns zu beschützen. Er kommt zurück. Mit. Einer. Flasche. Vodka. Das hilft. Sagt er. Soll ich damit auf den Wolf einprügeln??? Trinken soll ich. Ja, irgendwie hilft das ein bisschen.
Vodka. Das Allheilmittel.
Aber jetzt mal im Ernst. Während wir hier Vodka trinken, planen die Wölfe doch bestimmt schon, wie sie uns am besten auffressen. Alle lachen. Außer die zwei Schweizer Mädels, die auch noch wach sind. Die lachen auch nicht.
Also gut, FALLS man wirklich einmal von einem Wolf attackiert wird (und dann kommt der Satz: Aber die haben viel mehr Angst vor dir als du vor ihnen) soll man dem Wolf auf die Nase hauen. Mit einem Löffel zum Beispiel. (Etwas anderes als einen Löffel haben wir im Moment auch nicht.) Unser mongolisches Team lacht sich kringelig als einer der Fahrer uns das per Pantomime vormacht. Und ich sehe mich schon da stehen, heroisch, der Wind umweht mein Haar, der Wolf vor mir und ich – mit einem Löffel in der Hand.
Gut, Wanderstöcke könnten wir auch nehmen. Super, so was besitze ich nicht und schiele die eine Schweizerin an, von der ich weiß, dass sie Wanderstöcke hat. Mit dem einen Stock den Wolf auf Abstand halten und dann den anderen Stock darüber mit Karacho nach unten gleiten lassen. Auf die Nase.
Langsam geht es mir wieder besser. Der Vodka hilft tatsächlich. Und die Einladung der Schweizer Mädels, dass ich die Nacht bei ihnen im Zelt schlafen darf. Jetzt muss nur noch geklärt werden, wer in der Mitte schläft. (Mitte = sicherster Platz, falls die Wölfe das Zelt angreifen) Ich finde mein Argument, „Ich bin die Jüngste und hatte noch nicht so viel vom Leben“, zwar unfassbar logisch, es wird aber trotzdem nicht akzeptiert. Na gut, Hauptsache ich muss nicht alleine schlafen.
Irgendwann trauen wir uns dann aus dem Küchenzelt heraus. Die Nacht ist hell. War es Vollmond? Ich weiß es nicht mehr. Wie Helden begleiten uns die Fahrer zum Klozelt, das in gebührendem Abstand entfernt steht. Ein bisschen ist mir mulmig, als ich die Hosen runterlasse. Oh, gut. Ich hab mir vorhin doch nicht in die Hose gemacht.
Das idyllische Klozelt allein auf weiter Flur in einer anderen Nacht
Als wir schließlich mit meinem Gepäck am Zelt der Schweizer Mädels ankommen, geht unser Fahrer in die Hocke und deutet mir es ihm gleich zu tun. Keine zwei Meter entfernt schauen mich zwei Augen an. In meiner Erinnerung sind sie glühend gelb. Doch es ist nur ein Hund. Der Hund, der uns von da an, die ganze Nacht mit seinem Gebelle wach halten wird. Doch irgendwie bin ich froh, denn irgendwie denke ich, dass er uns dadurch die Wölfe vom Leib hält. Denn ob ich das so mit dem Löffel hinbekommen hätte, bezweifle ich sehr.
Doch eigentlich, eigentlich, würde ich wirklich gerne mal einen Wolf sehen. Die Mongolen glauben daran, dass das eine große Ehre ist und Wölfe sich nur denen zeigen, die sie als ebenbürtig empfinden. Hm, naja, immerhin hat ein Wolfsrudel mich wohl für würdig genug empfunden, um einmal für mich zu heulen. Immerhin.
Mit Dank an www.weltweitwandern.at für die Einladung auf diese Reise.