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Modestadt Antwerpen – oder: Allein unter Fashion Bloggern

Gastartikel von Alexandra Wolf

Antwerpen – Brüssels coole Schwester

Uff. 7:45 Uhr und ich sitze am Flughafen Tegel, Gate XY und nur noch einige Minuten bis zum Boarding – Wetter gut, Aussicht auf das Rollfeld frei, alles normal soweit… Mein Blick schweift ungerichtet über die Schuhe der anderen Fluggäste und nun fällt es auf… lauter übereinander geschlagene und wippende Beine: Männerbeine! – bei denen ausnahmslos dieser Streifen weiße Haut mit Haaren zwischen  Hosensaum und hochgezogener Socke zum Vorschein kommt. Ein unschöner, aber nicht ungewohnter Anblick.  In diesem Fall jedoch besonders, weil keine Tennissocken in Bequemtretern, sondern Luxusstrümpfe in hochpolierten Lederschuhen stecken. Verwirrt schaue ich auf und erblicke Anzug über Anzug, Zweireiher, Nadelstreifen, Haifischkragen und da wo die Köpfe sein sollten nur den Wirtschaftsteil der WELT. Um mich herum sitzt wahrlich eine Businessarmee, bewaffnet mit Smartphones, Tablets und Laptoprollkoffern!!! Wo bin ich hier gelandet! Wo fliege ich hin? Weshalb sind überall diese Anzugsoldaten?

– Destination Brüssel Airport… Durchatmen, Alex. Ist nur die Rush Hour im Arbeitsalltag der politischen und diplomatischen Europa-Elite und kein Fall von „Die Grauen Männer 2.0“… Ich selbst bleibe in der Hauptstadt Belgiens allerdings höchstens für eine Stunde, denn gleich nach der Landung werde ich den Zug gen Antwerpen besteigen!

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Modestadt Antwerpen und was das mit einem Reiseblog zu tun hat

„Oh Antwerpen, wie posh! Ist das nicht voll die Modestadt?“ – stimmt genau; und deswegen fühle ich mich auch etwas mulmig. Der Anlass für meinen Besuch nämlich ist eine Fashion-Initiative und mit mir auf der Reise werden ausschließlich Fashionblogger und Modejournalisten sein, was in mir die Befürchtung keimen lässt, dass meine abgefuckten Boots unter ihren kritischen Blicken auseinander fallen werden. Doch wie ist es eigentlich dazu gekommen, das ich nun Flanderns Stolz bereise und das Ganze auch noch unter der Perspektive „Mode“? Nochmal ein paar Tage zurück gespult:

Hallo Mode, hallo Sommer, hallo Antwerpen! …
… und natürlich: Hallo Just Travelous Leser! Ich heiße Alexandra, studiere Kunstwissenschaft, wohne in Berlin und nun bin ich in Antwerpen. Wieso weshalb warum? Die geschätzte und weit gereiste Travel Bloggerin eures Vertrauens, Yvonne, ist eine gefragte Instanz in der Welt des Reisejournalismus und – wie ihr als treue Leser sicherlich wisst – fast andauernd unterwegs. Und so hat sie mich mir nichts dir nichts ins kalte Wasser geschubst, genauer in ein klimaanlagenfrösteliges Flugzeug, und mich zu DEM Modeevent nach Antwerpen, Belgien geschickt. Nicht, dass ich was dagegen gehabt hätte. Denn als ich die Frage vernahm “Sag mal, hast du nicht Lust nach Antwerpen zu fliegen und über dieses Mode-Jubiläums-Dings zu berichten?“ sah ich ungefähr so aus wie Homer, wenn er das Wort „Barbecue“ vernimmt – Kopf zur Seite, Zunge raus und ein Blick wie nach ner Handvoll Pilze.

IMAG1232_SnapseedAntwerpen – Mode, Diamanten & Kunst

Komischerweise denke ich bei Antwerpen immer zuerst an den Film „Snatch!“. Ihr wisst schon, diese britische Gangster-Kultkomödie von Guy Ritchie. Da habe ich auch gelernt, dass die belgische Stadt an der Küste für Diamanten der Umschlagplatz schlechthin ist – Fernsehen bildet eben doch! Ich hatte die ganze Zeit die leise Hoffnung, dass auf diesem kleinen Trip das ein oder andere Steinchen seinen Weg in meine Hände finden könnte – so als Werbegeschenk. War aber nicht.

So abwegig ist die Idee allerdings doch wieder nicht gewesen, denn in Antwerpen angekommen wurden wir im Diamantenviertel einquartiert und ich konnte mich davon überzeugen, dass der „wie-Sand-am-Meer“-Vergleich bezüglich Diamanten vor Ort treffender nicht sein kann. Davon abgesehen hängt viel Kunst in Antwerpen rum und auch an stylischen Menschen mangelt es hier nicht. Und da wären wir am Punkt: Mode! Ja Mode, das ist hier Kulturgut wie bei uns der Biergenuss. Die ganze Stadt ist in heller Aufregung, weil das renommierte Institut für Fashion Design der Koninklijke Academie voor Schone Kunsten van Antwerpen (Niederländisch ist halt schon ne goldige Sprache) dieses Jahr 50. Geburtstag feiert und eine fette Party ist geplant. Wie es sich für einen runden Geburtstag gehört, hat man sich zu den Feierlichkeiten nicht lumpen lassen: Empfang, Shopping-Tour, Atelierbesuche, Drinks und als Highlight die mega Modenschau am Abend stehen auf der Birthday-Bash to-Do-Liste.

Antwerpen – Eine Fortbildung in Sachen Mode

Unsere kleine deutsche Delegation wurde alsbald nach der Ankunft mit Bloggern aus anderen Landen zusammengeführt und zur Pressekonferenz ins Modemuseum gekarrt. Erst jetzt wurde mir der Stellenwert von dit Janze bewusst: da wurden die Models für den Abend gecastet, Bussis verteilt und Fashion-Apps vorgestellt. Eine adrett gekleidete, aber streng wirkende Frau (ich nehme an Dozentin der Akademie) mit rechtwinkligen Pony und gänzlich in Schwarz brachte uns auf den Modekurs. Schon wieder fühlte ich mich ein wenig deplatziert, wobei ich diesmal anscheinend die Tür zu einer „Sex-in the City“-Episode geöffnet hatte. Das ist eine andere Welt, ach was ein ganz anderes Universum! Was sich zunächst als buntes und lockeres Spektakel anbahnte offenbarte sich als toughes Business und ich, der Nixchecker, war mittendrin gelandet.

modestadt-antwerpen-graanmarkt-open-houseDas Namedropping in der Ansprache wurde von mir unbeeindruckt zur Kenntnis genommen und die bloße Erwähnung der „Antwerp Six“ ließ jeden außer mich ein ehrfürchtiges Seufzeln ausstoßen – was in den kommenden 14 Stunden im gefühlten 5-Minuten-Takt passierte. Zum Glück hatte ich geschulte Begleiter von ELLE und Fashion Monster, denen ich aufmerksam zuhörte, here you go:

  • Die „Antwerp Six“ waren eine Gruppe von avant-garde Fashiondesignern, die alle an eben der geburtstäglichen Royal Academy of Fine Arts Mode studierten – Ha! So langsam konnte ich die Puzzleteile zusammenfügen…
  • Die Gruppe stand in den 1980ern für eine ziemlich radikale Modeidee und trug maßgeblich zu Antwerpens Ruf als Modemetropole bei – Ha! Deswegen sind alle heute hier zur Modenschau….
  • Ihren Durchbruch hatten sie 1986 – hier waren sich die Spezis alle nicht so ganz einig
  • Also: etwa 1986 haben sich die „Antwerp Six“ jedenfalls nen Truck gemietet und sind damit von Antwerpen nach London zur Modemesse getuckert, hatten ihre Kollektionen im Gepäck, und da hat’s dann BAM gemacht und sie waren cool und berühmt…. Und Antwerpen dann auch. – Geilo, oder? Was man so alles lernt, wenn man über den Tellerrand schaut…

Das Faszinosum „Antwerp Six“ ließ den anschließenden PR-Husarenritt durch die Stadt Antwerpen zu einer Schnitzeljagd mutieren. Denn, ganz die Fashionreporter, wollten meine liebgewonnenen Mitreisenden tunlichst einen der Sechs ausfindig machen, um ein Interview für ihr jeweiliges Medium zu ergattern. Getroffen haben wir kein Sechstel Modegott, aber dafür viel vom wunderbaren Antwerpen gesehen und reichlich Schokoladiges verdrückt… Schokolade könnte übrigens auch ein guter Grund sein, um mal eine Reise nach dem schönen Flandern zu wagen.

modestadt-antwerpen-spezialitaetenUnd wo wir gerade beim Essen und bei Belgien sind: Pommes! Die fehlten nämlich noch auf meiner Touri-Liste. Da bei der Verkostung fast schon dreist aufs belgische Bier verzichtet wurde, hatte ich allerdings nicht die Hoffnung, dass uns das frittierte Aushängeschild irgendwann serviert werden würde. Ich mein, wir sind ja totally fashion, und Bier und Fett und Kohlehydrate machen halt dick, ne. Aber, oh Wunder, das kartoffelige Gold sollte nicht lange auf sich warten lassen…

Ich hatte bis dahin ja schon so viel erlebt wie andre in einer Woche nicht, aber der Höhepunkt war ja noch gar nicht erreicht! Ein kleiner Powernap wurde uns gewährt und dann ging‘s aufgeschneckt und hingehipstert auf hohen Sohlen zum Antwerpener Hafen. Der wirklich unglaublich unterhaltsame Tag – ich möchte an dieser Stelle erwähnen wie nett die Antwerpener und wie lustig Fashionblogger sind – ging über in einen extravaganten Abend.

Glitzer, Glamour & Garnelen –Antwerpen hat’s halt voll raus

Ich hatte die Portion Pommes schon erwähnt. Sie waren Teil eines Abendschmauses, den man sich nicht fabulöser hätte erdenken können. Doch bevor wir uns zu Tische setzten, bewunderte ich das Panorama der Antwerpener Docks. Dinner & Docks? Genau! In den alten Backstein-Lagerhallen gleich am Wasser gelegen findet alljährlich die Modenschau der Absolventen zum Abschluss des akademischen Jahres statt. Nicht zu verwechseln mit Ähnlichem an unseren heimischen Kunsthochschulen, denn hier wird voll aufgefahren, um sich an New York, Paris & Mailand zu messen. Ein unglaublicher Andrang! Nicht nur ganz Antwerpen schien hier zu sein, Nein – Leute aus aller Welt waren angereist, um die Designer von morgen schon heute zu sehen. Headhunter internationaler Label haben sich Front Row Seats gesichert und werden an diesem Abend die Kollektionen kritisch beäugen. Die aufgeladene Stimmung war schon beim Dinner zu spüren. Direkt am Hafenbecken standen weiße Tische aufgereiht, an denen Journalisten und Blogger schnatterten,  Bussis verteilten und die roten Lippen und Bäckchen in Richtung Kameras streckten.

modestadt-antwerpen-hafenIch war zwar, soweit ich es überblicken konnte, nach wie vor die Einzige nicht vom Fach und erklärte Umstehenden zum gefühlten 100. Mal fast schon entschuldigend, dass ich ja Reisebloggerin wäre, von nichts ne Ahnung hätte, ich aber alles gaaaaaanz spannend fände und alle soooo nett seien und ich mich schon sooooooooo auf die Show freute. Die britische und niederländische Kollegin, die eine mit Turban, die andere mit orangenen Rougestrichen auf den Wangen, sahen mich mitleidend aber freundlich lächelnd an . Ich war anscheinend lieb genug und so schob mir später eine von ihnen ihre Lachsstückchen unter. Die Sonne war nun endgültig untergegangen und ich wurde tatsächlich etwas aufgeregt, beschloss aber ganz cool einfach den anderen alles nach zumachen und fühlte mich Dank Frittiertem, nem Haufen Garnelen, geschenkten Lachswürfeln, einiges an Weißwein ausreichend gewappnet.

To be fabulous or not to be – Die Modenschau der Antwerpener Absolventen 2013

Bye bye lecker Essen, bye bye laue Meeresluft, wir steuerten nun zielstrebig das Innenleben der Backstein-Docks an. Von außen hörte man die elektronische Musik schon zucken und das Licht in Gelb und Blau quetschte sich durch die Ritzen der schweren Eisentür. Ich drehte mich nochmal um, blickte auf das leergegessene weiße Ensemble, das nun irgendwie der Sommerresidenz aus Dirty Dancing glich und verschwand mit den anderen in Mareike Amados magisch dampfender Zauberkugel. Wusch! Drinnen! Keine Mini-Playback-Show, sondern ein proppenvoller, ziemlich dunkler megalomanischer Industrieraum.

modestadt-antwerpen-fashion-showIch bekam meine Platzkarte und Jetons für Campari-Cocktails zugesteckt – nice! Schnurstracks beim Fashionblogger eingehakt und die Bar angesteuert. Orange ergoss sich das Getränk in sehr kugelige und langstielige Gläser- äußerst unpraktisch waren die und ich kickte meins noch während dem ersten Run zwischen die Füße der Dame vor mir. So what, heute war ich dekadent und außerdem hatte ich noch reichlich von der Alkohol-Währung in meinen schicken Hosentaschen.

Was soll ich sagen, so eine Modenschau, das ist ein Spaß! Nachdem alle mit jedem angestoßen hatten und ausgecheckt war, welcher Modecelebrity mit seiner Anwesenheit den Glamour-Faktor in die Höhe pushte, ging es durch den schwarzen Vorhang ins nächste Backsteinsegment. Schwarze Stuhlreihen rechts und links eines blitzförmigen weiß lackierten Laufstegs, die Kameraleute positionierten sich an dessen Ende, die erste Reihe ließ sich nieder (ist by the way wie beim Pferderennen in Ascot, die Fashonistas, VIPs und Branchenroyals dürfen ganz nah ran) und dann wurde es schwarz! Die Bässe wummerten, die Screens leuchteten, bam bam bam kamen die Models aus dem blendenden Nirgendwo ganz am Ende der Halle heraus und jagten den unendlichen Laufsteg entlang.

Modestadt-antwerpen-female-modelsVier Stunden dauerte das Spektakel bis weit nach Mitternacht und mir war keine Sekunde langweilig. Es wurden tausende Bytes an Bildmaterial gespeichert, Journalisten kritzelten zu den Designs unentwegt in ihre schicken Büchlein, kritisch wurde sich zueinander gebeugt und miteinander getuschelt. Irgendwann schmuggelte ich mich in die erste Reihe, weil ich von hinten einen leeren Platz ausgemacht hatte – nicht ohne mir vorher noch schnell an der Bar eine kugeliges Camparibömbchen abzuholen – wer weiß wann ich das nächste Mal Gelegenheit habe würde, so etwas beizuwohnen. Jetzt war ich den Models ganz nah und das fühlte sich wirklich seltsam an, denn manchmal blieben sie genau vor mir stehen und schauten dann, wie in den Zeitschriften, mit schockierender Präsenz ganz streng, ganz genervt oder ganz entgeistert ins Publikum, sodass ich manchmal eingeschüchtert den Kopf neigte, um ja nicht durchbohrt zu werden. Je nach Model eine fast schon nervenkitzelige Angelegenheit, und immer mehr kapierte ich auch, weshalb so einige auf dergleiche Veranstaltungen abfahren. Ich würde es als magisch und emotional beschreiben: die Designs waren mal befremdlich, mal einfach nur schön, die Sinne wurden überstrapaziert und die Phantasie den ganzen Abend über am Sprudeln gehalten. Ganz abgesehen davon saßen mir gegenüber auf der anderen Seite des weiß glänzenden Catwalkstreifens gleich drei Herren, die ich als ungemein attraktiv befand. Und ich versuchte angestrengt zwischen schamvoll den Boden fixieren, Models anglotzen und zur anderen Seite blinzeln, nicht total bescheuert auszusehen.

Modestadt-antwerpen-male-modelsDer fulminante Abend endete mit den Meisterschülern, die unter Applaus ihre Abschlusskollektionen präsentierten. Unsere Bloggercrew war erschöpft, angeschickert und ekstatisch. Die Füße ließen so langsam die vielen Laufstunden des Tages merken und der Kopf schwirrte von den vielen Farben, Sounds und Menschen, denen ich heute begegnet war – die Unmengen Sekt und Campari-Cocktail werden ihr Übriges getan haben.

Nach 14 Stunden als totaler Newbie in Sachen Mode & Fashion sehnte ich mich nach Ruhe und dem Bettchen im Diamantenviertel! Glas leeren, durch die Halle tippeln, draußen noch ein Zigarettchen am Hafenbecken und dann ab ins Taxi – gute Nacht!

— Die Fashion Show des Modeinstituts ist ein jährliches Großereignis, das ganz Antwerpen in Atem hält. Tickets gibt es immer schon ab etwa Mai und sind schnell ausverkauft. Wer ein Wochenende in Antwerpen plant, dem sei Mitte Juni zur Modenschau ans Herz gelegt. Infos gibt es unter http://www.antwerp-fashion.be 

Hinweis: Alexandra wurde im Namen von justtravelous.com auf diese Reise von flandern.com eingeladen. 

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