Netzlos im Nirgendwo – Suchtbekenntnisse einer Reisebloggerin
Hallo, mein Name ist Yvonne, ich bin internetsüchtig. Das Letzte, was ich abends mache, ist auf meinem Handy Emails checken. Und morgens ist es das Erste. Ich bin täglich im Netz. Und mit manchen Freunden bin ich intravenös darüber verbunden. Ich komme damit klar, dass ich kein Netz zwischen Gleisdreieck und Eberswalderstraße habe, wenn ich mit der U2 fahre. Oder wenn ich im Flugzeug sitze. Ich verbringe nicht jede Minute im Internet, aber wenn mein Router abkackt, fühle ich mich amputiert. Und das nicht nur, weil ich ohne das Internet meine Brötchen nicht bezahlen kann. Ganz oft ist es einfach so, dass ich Angst habe, etwas zu verpassen.
Doch mittlerweile gibt es manche Tage, manchmal sogar zwei am Stück, an denen ich mir „frei“ nehme, offline gehe. Denn ich weiß, dass es sich gut anfühlt.
Und das habe ich vor allem meiner Reise in die Mongolei im letzten Sommer zu verdanken. Drei Wochen wandern. Zelten, ohne Strom. Na gut! Kein Internet? Wie soll ich das nur überleben? DAS war für mich die größte Herausforderung.
Ich so morgens beim Zähneputzen. Fand ich eigentlich super, auch wenn ich grad nicht so aussehe.
Nach 110,5 Stunden, fast 5 Tagen, hatte ich das erste Mal Entzugserscheinungen. Das Sehnen nach der Sucht war auf einmal da. Ja, ich hätte auch früher damit gerechnet. Aber eigentlich hätte ich es sogar noch länger ausgehalten. Wären wir nicht, ja wären wir nicht, diese eine Nacht in einem Ger Camp gewesen, in dem es laut meiner Mitreisenden Internetanschluss gab. Ich weiß es noch genau, wie mein Herz plötzlich anfing, wie wild zu schlagen.
Wir saßen beim Abendessen und (ich nenne ihn jetzt mal so) Horst meinte: Und? Warste schon im Internet?
Panik. ES GIBT HIER INTERNET? Soll ich? Soll ich nicht? Und wenn ich nur wenigstens schnell meinen Eltern eine Email schicke? Einen kurzen Blick auf Facebook, Twitter, meinem Blog werfe? Was, wenn der seit Tagen offline ist? AHHH. Schnell, lenkt mich ab. Erzählt mir was. IRGENDWAS.
Zwei Stunden später sitze ich in meiner Jurte und frage mich selbst, warum ich der Sucht nicht nachgegeben habe. Hatte ich Angst, dass mir irgendeine Email die Laune versauen würde? Dass die Verbindung so schlecht sein würde, dass ich es noch nicht mal schaffen würde meine Emails zu checken und mich das erst recht nervös machen würde? Ganz falsch. Ich mein, ja, ok, irgendwie hatte das auch damit zu tun. Aber eigentlich, eigentlich, hatte ich das Gefühl mich selbst zu bescheißen. Ich wollte doch Abenteuer, einfach mal weg von allem. Wenn ich jetzt ins Internet gehe, hole ich mir die andere Welt hierher, hier in dieses Niemandsland. Und das fühlt sich komisch an.
Und ich weiß, wenn ich jetzt nachgebe, dann bin ich nicht besser als die deutschen Touristen auf Mallorca, die sich beschweren, wenn es kein Schnitzel gibt.
Ich habe gelernt, wie es ist in der freien Natur seiner Notdurft nachzugehen, wie man im Sturm ein Zelt aufbaut (gut, ich habe die Fahrer mit Zigaretten bestochen) und bin so megastolz auf meine Füße, die mich seit 5 Tagen durch die Wüste Gobi tragen. Da werde ich doch jetzt nicht nachgeben.
Die nächsten drei Tage werden wir wieder im Zelt schlafen, ohne Strom, ohne fließend Wasser, aber mit etwas Glück einem Klozelt. Wir werden unter freiem Himmel essen, uns abends mit Vodka wärmen und am anderen Morgen wieder die Wanderschuhe anziehen und loslaufen. In die ewige Weite.
In der Wolken so tief hängen, weil der Horizont so weit ist, in der Klippen rot glühen und Kamele in Herden Gruppenentscheidungen treffen.
In der Stuten alle zwei Stunden gemolken werden und Kinder den weisen Blick von alten Menschen haben. In einem Land in dem ich auch nach fast einer Woche noch nicht angekommen bin. Ich will noch nicht zurück, noch nichtmal für einen Augenblick. Mir bleiben noch zwei Wochen.
Drei Tage später träume ich das erste Mal davon im Internet zu sein. Ich lese eine Email von einem Freund, in der er sich beschwert, dass ich mich seit Wochen nicht bei ihm melden würde. Zwei Nächte später treffe ich im Traum auf eine Freundin, von der ich weiß, dass sie TÄGLICH im Internet ist. Doch mein Mund gehorcht mir nicht, als ich sie fragen will, was so “abgeht” in der online Welt. Ich kann sie noch nicht mal bitte zu twittern, dass ich fast von Wölfen gefressen wurde (Ja, ich übertreibe mal wieder).
Nach zwei Wochen fange ich an mir auszumalen, wie das sein wird, wenn wir zurück in Ulaanbaatar sind und wir wieder Internetanschluss haben.
Werde ich erst duschen oder erst meine Emails checken? Soll ich mich dabei aufs Bett legen oder an den Schreibtisch setzen?
Ein bisschen komme ich mir dabei vor wie früher, an den Tagen vor meinem Geburtstag, an denen ich mir ausgemalt habe, wie die Torte wohl schmecken wird und welches Geschenk ich als erstes auspacke.
Als es dann endlich soweit ist, fühle ich die Sucht zum ersten Mal wirklich. Wir sind im Hotel. Ich weiß das WLan hier ist schnell. Fast so schnell wie ich in meinem Zimmer bin. Nur mein Rucksack. Wo zur Hölle ist mein Rucksack? Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn. Warum braucht der denn so lange? Ich will doch jetzt. Ich reiße die Türe auf und stürme auf den Gang. Da ist er, mein Rucksack, auf dem Wagen mit all den anderen. Ohne zu warten. Ohne mich umzuschauen. Nehme ich ihn von dem Wagen, renne in mein Zimmer und verschließe die Tür.
Allein. Ich will nicht, dass mich jemand stört. Niemand.
Mit zitternden Fingern schalte ich mein Macbook ein. Was wird mich erwarten? Was hab ich verpasst? Irgendwie ist mir schlecht. Hab ich Fieber? Mir wird heiß und kalt.
Da. 554 ungelesene Emails. 72 Facebookbenachrichtigungen. Und bitte: los gehts… Die „reale“ Welt hat mich wieder. Erst nach einer Stunde fühle ich mich besser. Die Welt ist nicht untergegangen. Nur ich war offline. Und irgendwie hat sich das doch gut angefühlt. Und seitdem mache ich das öfter. Nicht für Wochen, aber für Stunden, Tage. Und es fühlt sich immer verdammt gut an.
Wie geht es euch dabei? Würdet ihr drei Wochen ohne Internet auskommen?